Gedenktage

Zum Gedenken

  Johanna Wendt, geborene Empen

        100. Geburtstag am 13. März

 

 

Liebe und Erinnerung ist das, was bleibt,

lässt die Bilder vorüber ziehen,

uns dankbar zurück schauen

auf die gemeinsame Zeit.

 

 

 

Am 13. März 1910 wurde unsere liebe Mutter Johanna Franziska Empen auf Nordstrand geboren.

 Hanna war das Nesthäkchen der Familie. Sie wuchs mit ihren drei Schwestern Toni, Mariechen und Henny und mit ihren sechs Brüdern Friedrich, Cornelius, Erich, Bruno, Theodor und Oswald auf.

 Hanna wurde in ihrem elterlichen Bauernhaus auf Moordeich geboren. Die Mutter hieß Margaretha Franziska, geborene Brauer, und der Vater Hugo Heinrich Empen. Die Eltern, unsere Großeltern, heirateten am 11. Mai 1891 auf Nordstrand.

 Unser Opa Heinrich Empen hat das Haus am Moordeich vermutlich um 1900, nach dem Tod des Großvaters Johannes Heinrich, er war Fährmann, zurückgekauft. Bis dahin wohnten sie im kleinen Nachbarhaus.

 Unsere Großmutter erhielt aus dem Nachlass ihres Vaters, der „auf See“ blieb, ein kleines Erbe von 18 Talern. Unser Großvater erbte vom Vater einen Hektar Land.

Gemeinsam bauten sie damit einen landwirtschaftlichen Betrieb auf mit Stallungen, Weiden und Ackerland.

 1910 wurde bei der Gemeinde ein Antrag für die Einrichtung einer Krämerei gestellt und 1911 die Genehmigung zum Betreiben erteilt. Der Laden war mit allem Lebensnotwendigen und manchem mehr bestückt und entwickelte sich schnell zum damals größten Kaufhaus auf der Insel. Er wurde von der Großmutter so erfolgreich geführt, dass unser Opa mit Hilfe der erwirtschafteten Überschüsse 1914 Land hinzu erwerben konnte. Zuletzt besaß er 13 Hektar Land im Neukoog und im Moorsumkoog.

 Mutti hat uns erzählt, dass in der „guten Stube“ immer eine große Weihnachtsausstellung mit Spielzeug aus Nürnberg aufgebaut war. Dazu diente ein Tisch, der so lang war wie vier Tischtücher am Stück. Auf diesem weißen Leinentuch war viermal das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern eingewebt. Nach dem Tod der Mutter wurde es in vier Teile zerschnitten und jedes der vier Töchter erhielt eines davon. Unsere Mutter hat damit an den Sonntagen und Festtagen immer den Esstisch gedeckt. Da der Hauptverkauf am Hl. Abend stattfand, gab es erst am Morgen des ersten Weihnachtstages Bescherung für die Kinder.

 Von 1916 bis 1924 besuchte Hanna die Kath. Mädchenschule im Süden auf Nordstrand. Diese Schule wurde bereits 1863 eingerichtet. Alle Schulkinder aller Altersgruppen wurden in einem Raum unterrichtet. „Süden“ war der Mittelpunkt der Insel, wo die meisten Häuser standen.  Es war ein weiter Schulweg, circa vier bis fünf km lang. Mutti hat uns erzählt, im Winter konnte sie über zugefrorene Gräben den Weg verkürzen und lustig war’s obendrein.

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Am 13. März 1921 erhielt Hanna die erste Hl. Kommunion in der Kath. Pfarrkirche St. Knud am Herrendeich. Die Kirche wurde 1864 erbaut. Kirchenpatron ist der Hl. König und Märtyrer Knud (+1086 in Odense auf Fünen).

Das Kleid zur Feier hat die Mutter selbst genäht. Neben ihrem Organisationstalent in Haushalt und Geschäft war unsere Großmutter auch sehr geschickt im Nähen. Bis spät in die Nacht hat sie für ihre zehn Kinder fast alles genäht.

 An den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 hatte Hanna wenig Erinnerung. Für die Eltern war es eine schwere Zeit. Fünf Söhne wurden zum Militärdienst eingezogen. Aber alle kamen zurück. Bei Kriegsende war sie acht Jahre alt und hat uns von Brunos schwerer Verletzung erzählt. Er verlor ein Bein. Da war er erst 18 Jahre alt.

 Sie erhielt ihren Vornamen Franziska nach dem zweiten Vornamen ihrer Mutter und Johanna nach ihrem Onkel und Taufpaten Johann Empen, der um 1900 nach Amerika auswanderte und sich in Clinton/Iowa niederließ.

 Vom Patenonkel aus Amerika bekam Hanna zu jedem Geburtstag 5 US-Dollar geschickt. Das Geld wurde auf ein Sparbuch eingezahlt. Ein USD war zu jener Zeit 4,20 Goldmark wert. Zum Vergleich: 1913 kostete ein Ei = 5 Pfennig, 1 Pfund Kartoffeln = 3 – 3,5 Pfennig, 1 Pfund Butter = 1,10 Mark. Der Postbote bekam ein Tagegeld von 3,80 Mark. Dafür arbeitete er neun Stunden wochentags und acht Stunden samstags. Durch die Inflation 1923 verlor sie ihr Erspartes.

 Während der Inflation wurde auf Moordeich jeden Tag wäschekörbeweise Geld gezählt. Mutti hat uns erzählt, dass sie nie wieder in ihren Leben so viel Geld gesehen hat. Die Wirtschaft hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg nicht wieder erholt und es gab eine Währungsreform mit der Einführung der Reichsmark.

 Hanna hatte eine unbeschwerte Kindheit, bis ihre Mutter am 29.01.1923 plötzlich mit 56 Jahren starb. Zwei Monate später wurde sie 13 Jahre alt. Im selben Jahr heirateten die Brüder Cornelius und Erich. Friedrich hatte bereits 1919 geheiratet.

 In dieser Zeit wurde der Schäferhund ihr bester Freund. Er schlief immer auf dem Dachboden, wo Hanna sich mit den Schwestern ein Zimmer teilte. Der Hund wurde alt und konnte zuletzt nicht die Stufen zum Dachboden schaffen. Hanna war sehr traurig, als ihr Bruder von einem Ausflug über die Felder ohne den treuen Hund zurück kam. – Aber auf dem Dachboden ging es auch lustig zu. Meine Vettern Harald und Heini haben von den Volksliedern und Küchenliedern erzählt, die auf dem Grammophon mit Handkurbel abgespielt wurden. Und im Winter wurde dort warm verpackt in Wintermänteln Karten gespielt.

Im Sommer gingen die Jungs an den Außendeich zum Baden. Für Mädchen schickte es sich nicht, sich in Badebekleidung zu zeigen. Obgleich vom Meer umgeben, lernte Hanne nie schwimmen.

 

Nach dem Tod der Mutter haben die älteren Schwestern den Haushalt und den Laden geführt. Zu ihren Aufgaben hat auch die Milchwirtschaft mit dreimal am Tage sechs bis acht Kühe melken gehört. Mutti wuchs langsam in diese Aufgaben hinein. Aber als sie erst 17 Jahre alt war, heirateten die Schwestern Toni und Mariechen und ihr Bruder Bruno. Bis dahin ist sie nach dem Abendessen am Tisch immer so gerne kuschelnd an Brunos Schulter eingeschlafen.

Zu den Eltern hatte Hanna ein respektvolles Verhältnis. Die Eltern wurden in der dritten Person angesprochen: „Hat Mutter Zeit für mich …“.

 

Als auch Theodor ein Jahr später heiratete, war sie mit ihrem Vater, Henny und Oswald allein im Elternhaus. Für den Haushalt und Kühe melken wurde zusätzlich eine Haushaltshilfe geholt.

 

Als ihre Schwester Henny im Sommer 1930 das Elternhaus verließ, heiratete Bruder Oswald unsere liebe Tante Mariechen. Im selben Jahr wanderte Ihr Jugendfreund Hermann Nordhoff mit dem Schiff „Deutschland“ am 27.6.1930 nach Amerika aus. Als die ersten Kinder Hilde und Gerhard auf Moordeich geboren wurden, war es Zeit für Hanna, die behütete Umgebung zu verlassen.

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Opa Empen vererbte seinen Hof an seinen jüngsten Sohn Oswald. Damals gab es noch das Jüngsten-Erbrecht, das eingeführt wurde, um die Generationsfolge zu verlängern. Von Oswald ging der Hof auf seinen Sohn Norbert, meinem Vetter, über. Norbert Empen wohnt dort heute noch mit seiner Frau Monika. Die beiden haben ihren Landbesitz auf rund 27 Hektar vergrößert. Die Krämerei hat Oswalds Frau Mariechen mit ihrer jüngsten Tochter Gerda bis 1963 weitergeführt. Danach wurde der Krämerladen geschlossen.

 

Im Winter 1933 verließ Hanna Nordstrand. Sie suchte die Nähe ihrer Schwester Henny und ging nach Bad Iburg bei Osnabrück als Haushaltshilfe und Bedienung im angeschlossenen Ausflugs-Cafe.

Sie ist „in Stellung gegangen“, wie man damals sagte. D.h., daß sie wie die meisten anderen Mädchen in einem privaten Haushalt eine Anstellung als Dienstmädchen annahm. Dieses wurde auch nicht als minderwertige Beschäftigung angesehen. Im Gegenteil, die „Deerns“ lernten viel im Haushalt und hatten gute Ehe-Aussichten.

 Ihr Monatslohn betrug 20 Mark. Von ihrem ersten Geld hat sie sich einen warmen Wintermantel gekauft. Denn bei der Überfahrt vom Süderhafen nach Husum hat sie furchtbar gefroren. Sie hat mir erzählt, daß ihre Mutter einmal vor dem Betreten der Fähre von einer Windbö erfaßt wurde und zwischen Anlegestelle und Schiffswand geriet. Nur der aufgespannte Regenschirm hätte sie gerettet. Oder war‘s die Urgroßmutter?

 Als Henny nach Hamburg ging, zog es sie hinterher. Kurze Zeit arbeitet sie in einem Geschäftshaushalt in Eimsbüttel und danach in Langenhorn in einer Familie mit mehreren kleinen Kindern. 

 1938 lernte Hanna Alo Wendt kennen, durch eine Heiratsanzeige, die seine Schwestern in die Zeitung gesetzt hatten. Er war „Eenspänner“, wie man auf platt zu Junggeselle sagt. Alo wurde am 3.11.1903 in Neumünster geboren. Sein vollständiger Name lautete: Antonius Augustinus Aloysius Lewinus Joseph Wendt. Er wuchs mit vier Schwestern und sechs Brüdern auf. Ein Zwillingsbruder war gestorben und der älteste Bruder war mit 19 Jahren im Ersten Weltkrieg in Frankreich gefallen.

 Während der Verlobungszeit war Hanna wieder Zuhause auf Moordeich. Ihr Vater hatte dafür ihr Mädchenzimmer herrichten lassen und nannte es liebevoll „Hannas blaue Stube“.

 

In dieser Zeit lernte sie von Alos Bruder Hubert die Kinder Käthe, Siegfried und Hubert kennen. Die Kinder waren während ihrer Schulzeit im Kath. Kinderheim St. Franziskus am Herrendeich untergebracht. Das Heim wurde von Ordensfrauen, den Thuiner Franziskanerinnen geführt. Käthe war eine „schmucke Deern“, erzählte Gerhard, der mit den beiden Brüdern zur Schule gegangen ist. Hanna brachte oft selbstgebackenen Kuchen ins Heim und besuchte die Kinder.

 

Inzwischen wurde der Straßendamm gebaut und 1936 fertiggestellt, der die Insel Nordstrand mit dem Festland verbindet. Während man früher zu Fuß und nur bei Ebbe über den niedrigen Steindamm nach Husum turnen mußte, sieht man heute beidseits des Damms weit draußen die Schafe laufen. Und auch eine feste befahrbare Hauptstraße entstand, die alle Köge von Pohnshalligkoog bis zum Süden verbindet. Bis dahin diente der alte Süderhafen dem Fährverkehr nach Husum, der sehr abhängig war von den Gezeiten und den Wetterbedingungen.

Auch war Nordstrand seit 1934 an die elektronische Stromversorgung angeschlossen. Das „Plumpsklo“ gab es noch bis 1968.

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Am 1. Juni 1940 heirateten meine Eltern auf Nordstrand.

 

Opa Empen fuhr das Brautpaar in seiner Kutsche stolz zur Kirche St. Knud. Blumenmädchen waren Hilde und Erika, beide sieben Jahre alt. Leider war seit dem 1.9.1939 Krieg und es
konnten nicht alle Geschwister und Verwandte teilnehmen. Auf dem Hochzeitsfoto sind noch zu sehen mein Großvater Heinrich Empen und meine Großmutter Adriane Wendt.

 

Es war eine sehr schöne Hochzeitsfeier, die ihr Bruder Cornelius mit seiner Frau Maria auf „Pohns“ ausrichteten. Die Geschwister meines Vaters fanden alles ganz toll auf dem Bauernhof. Besonders die Schwestern Walburga, Hedwig und Adriane. Es wird erzählt, daß sie noch nachts auf den Pferden geritten sind und am liebsten länger geblieben wären.

 

Pohnshalligkoog wurde erst 1925 eingedeicht, wo Hannas Bruder Cornelius eine Siedlerstelle erhielt. Inzwischen war „Pohns“ zu einem großen Bauernhof ausgebaut worden. Cornelius Sohn Rudi besaß zuletzt 90 Hektar Land.

Meine Mutter hat oft davon erzählt, daß sie die Pferde bedauert hat, die tief in dem Schlickboten einsanken. Da man dort vorerst nicht wohnen konnte, mußten Cornelius und seine Helfer täglich mit Essen versorgt werden, welches Hanna als junges Mädchen oft von Moordeich dorthin brachte. Pferde liebte sie besonders. Sie sagte immer, man könne mit ihnen sprechen und hätte das Gefühl, die Tiere verstünden alles.

 

Seit Kriegsbeginn herrschte Wohnungsmangel. So wohnten meine Eltern im Erdkampsweg in Fuhlsbüttel bei einer jüdischen Familie, die ein Möbelgeschäft betrieb. Mutti besorgte den Haushalt und mein Vater arbeitete als Schneidergeselle bei der alteingesessenen hanseatischen Firma Krahn am Rödingsmarkt mit Blick auf ein Fleet. Dort saßen alle Schneider im „Schneidersitz“ auf Tischen und hielten ihre Näharbeit vor sich auf dem Schoß.

Davor hatte Alo seit 1936 in Kiel bei der Wehrmacht gearbeitet und war zur Familiengründung nach Hamburg gezogen.

Der Inhaber riet noch zum Möbelkauf vom Ersparten. Aber unser Vater wähnte sein Geld sicher auf der Bank, welches natürlich bei Kriegsende entwertet war.

Als sich Nachwuchs ankündigte, zogen meine Eltern nach Poppenbüttel in die Langenhorner Straße Nr. 1., ein Eckhaus mit einer Drogerie und umgeben von einem großen Obst- und Gemüsegarten mit vielen schönen Blumenrabatten. Das Haus gehörte Frau Kuniß, die Schwiegermutter von Hannas Cousine Anni Tewes. Sie bewohnten im ersten Stock eine kleine Küche und ein Schlafzimmer zur Untermiete.

 

Erst seit 1938 gehört Poppenbüttel zur Stadt Hamburg. Der Stadtteil wurde im Rahmen des Groß-Hamburg-Gesetzes eingemeindet. Vorher gehörte es zum Kreis Stormarn. Dadurch konnte ich als „Hamburger Deern“ geboren werden. Großmutter Wendt nannte es immer „Puppenbeutel“. Aber Büttel ist die Bezeichnung für Siedlung. Zu ihrer Schwiegermutter hatte Hanna ein herzliches Verhältnis. Werner und Regina haben sie noch gekannt. Schade, daß sie in Neumünster lebte. Sie wurde 89 Jahre alt.

 

In der Zeit vor der Niederkunft wohnte Hanna bei ihrer Schwester Henny, damit sie es nicht weit hatte zum Altonaer Krankenhaus. Außerdem war sie allein in Poppenbüttel. Alo war am 7.1.1941 zur Wehrmacht  eingezogen worden. Er wurde in Bad Wörishofen für die Artillerie ausgebildet und bald in Polen eingesetzt.

Als die Wehen einsetzten war Fliegeralarm und alle Patienten mußten in den Keller. Aber sie schaffte es nicht mehr und so brachte sie ihr erstes Kind am 12. November 1941 bei abgedunkelten Fenstern, Sirenengeheul, Fliegergebrumm und Flakabwehrfeuer zur Welt. Hanna war überglücklich über die Geburt eines Mädchens und nannte mich Regina. Mein Vater hatte ein Telegramm geschickt und sich diesen Namen gewünscht.

 

In den folgenden Wintermonaten wohnte Hanna mit dem Baby bei ihrer Schwester Mariechen. Beide Ehemänner Alo und Carl Güthle waren im Krieg. In Poppenbüttel konnte das Schlafzimmer nicht beheizt werden. In Pinneberg konnten von der Küche aus alle Zimmer beheizt werden. Mariechen hatte in ihrer Wohnung Platz, es war warm und es stand immer genügend warmes Wasser auf dem Küchenofen. Hanna konnte nicht stillen. Obgleich Lebensmitteln rationiert waren, gab es in dieser Zeit noch genug Babynahrung und Mariechens Tochter Christa freute sich über die so gut duftenden Reste, wenn das Baby nicht alles trank.

Mutti war mit uns häufig und gern bei ihrer Schwester in Pinneberg zu Besuch. Es waren immer besonders schöne Ausflüge.

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Hannas Vater starb am 28. Januar 1942. Sie war sehr traurig, dass sie mit dem Baby im kalten Winter nicht zur Beerdigung am 2. Februar nach Nordstrand reisen konnte.

 

Im Frühjahr 1944 kam Alo auf Heimaturlaub aus Urel im Kaukasus. Danach nahm er an der Invasion in Frankreich teil. Er geriet dort in amerikanische Gefangenschaft. In dieser Zeit hörte Hanna nichts von Alo. Vom Lager auf den Feldern bei Bad Kreuznach wurde er den Franzosen übergeben. Danach lebte er im Lager “Sedan“ in St. Germain – La Poterie bei Amiens in Gefangenschaft.

 

Werner wurde am 12. Oktober 1944 im Krankenhaus in Wellingsbüttel geboren. Hanna war überglücklich, nun auch einen gesunden Sohn zu haben. Sie wählte den Vornamen in Gedenken an den Sohn ihres Bruders Cornelius, der mit 20 Jahren im Mai 1944 in Moldawien gefallen war.

 

Bei schweren Bombenangriffen hatte Hanna immer große Angst um ihre Schwester Henny, Bruder Bruno und Alos Bruder Edmund, die alle mit ihren Familien in Altona wohnten. Zum Glück waren hier alle Väter bei ihren Familien geblieben. Sie war erleichtert, wenn sie von allen ein Lebenszeichen erhielt. Unglücklicherweise war durch Bomben im Juli 1943 die Wohnung des Bruders Theodor in Eimsbüttel völlig zerstört worden. Theodor mit seiner Frau Angela und den neun Kindern wurden in ihrer Not vom Bruder Cornelius aufgenommen.

 

In Poppenbüttel war es ruhig. Es fielen keine Bomben. Bei Fliegeralarm mußten trotzdem die Fenster abgedunkelt werden und alle bis zur Entwarnung in den Keller. Es waren immer Horch- und Guck-Spione unterwegs zum Kontrollieren. Auch durften keine Nachrichten der ausländischen Rundfunksender gehört werden. Meine Mutter und alle Leute haben es trotzdem getan und wußten daher, daß der Krieg bereits verloren war und nicht mehr allzu lange währen konnte.

Für Hamburg war der 2. Weltkrieg mit dem kampflosen Einmarsch der englischen Truppen am 3. Mai 1945 beendet. Die Kapitulation fand vor dem Rathaus statt.

 

Wenn meine Mutter von der „schlechten Zeit“ erzählte, meinte sie die ersten Jahre der Nachkriegszeit. Die Not im Winter 1946/47 war sehr groß. Die Versorgung war praktisch zusammengebrochen. Die Menschen hungerten und froren. Der Winter war extrem kalt mit Temperaturen um minus 18 Grad im Januar und im März minus 2 Grad. Die Kältewelle ließ die Stadt von Mitte Dezember bis Mitte März erstarren. Es gab nichts zu essen, keine Kohlen, kein Strom.

Die Menschen gingen „Kohlen klauen“. Hanna ging immer mit Klaus Wierz auf Tour. Wenn die Züge langsam fuhren bzw. zum Stehen kamen, sprang sie behend rauf und warf die Kohle runter. Klaus sammelte auf und brachte den Sack nach Hause. Natürlich war das verboten. Darum mußte Hanna stückweise die Kohle in der Handtasche nach Poppenbüttel tragen. Einmal wurde Klaus erwischt und ihm der Sack abgenommen. Aber er folgte dem Polizisten zur Wache, der den Sack im Eingang abstellte. Im geeigneten Augenblick schnappte er sich den Sack. Zuhause war die Freude groß, als beim Öffnen noch ein Paket Butter zum Vorschein kam.

Auch bekam Hanna mit anderen zusammen ein Baum zum Fällen zugeteilt. Auf diese Weise wurden die Knicks, die die Felder in Poppenbüttel säumten, bald vom alten Baumbestand befreit. Später, als mein Vater bereits wieder Zuhause war, durfte er im nahen Moor Torf stechen. Getrocknet und wie Briketts geformt, konnte man es einigermaßen als Brennmaterial nutzen.

 In den Kriegsjahren und danach war alles rationiert bzw. wurde zugeteilt. Bereits vier Tage vor Kriegsbeginn wurden Lebensmittelkarten ausgegeben. Darauf bekam man Fleisch, Fett, Zucker, Kartoffeln, Salz, Bohnenkaffee, Kaffee-Ersatz, echten Tee, Brot. Milch gab es nur für Schwangere und kleine Kinder. Es gab Kleiderkarten und Bezugsscheine für Kohlen.

 

Die Hunger-Ration bestand im Februar 1947 täglich aus: 380 g Brot, 365 g Nährmittel (Reis, Mehl etc.), 350 g Kartoffeln 35 g Fleisch, 17 g Fett, 4 g Käse, 17 g Zucker. Hanna bekam für
die Kleinkinder eine Extra-Ration. Wenn es denn vorhanden war. Oft stand sie vor leergeräumten Regalen.

Erst am 31. März 1950 beschloß man unter Konrad Adenauer die Abschaffung der Karten.

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Meine Mutter hatte es in Poppenbüttel noch einigermaßen „gut“ in der sogenannten schlechten Zeit. Auf ihrem kleinen Stück Pachtland in der Ulzburger Straße konnte sie etwas Gemüse und Kartoffeln ernten. Obst hatten die Nachbarn. Ansonsten half man sich gegenseitig aus.

 

Auszüge aus den Feldbriefen, die Hanna an Alo nach Frankreich schrieb im Herbst 1946:

„Zum Glück haben beide Kinder neue Schuhe bekommen. Werner zum ersten Mal Neue. - Regina holt sich jeden Tag vom Roten Kreuz Essen. Es schmeckt nicht so ganz gut, sagt sie. - Werners Geburtstag haben wir nett gefeiert - im Stillen. Hatte ich doch gehofft, Du würdest schon bei uns sein. - Ich habe auf dem Land nur 2 Eimer Kartoffeln geerntet. Es war nichts in diesem Jahr. Wir haben 3 Ztr. Brikett bekommen. Es soll 2 ½ pro Kopf geben. - Meine Tante Dora in Wellingsbüttel hatte aus Amerika ein schönes Paket bekommen.“

Hannas Tante Dora wohnte in Wellingsbüttel zusammen mit ihrer Schwiegertochter Thea und den Enkelkindern Eugen, Klaus und Veronika. Mutti war oft und gerne mit uns dort zu Besuch.

 

Am 29.4.1947 kam Alo endlich nach Hause. Seine wenigen Haare waren ergraut, die meisten Zähne fehlten und er war von der entbehrungsreichen Zeit gezeichnet. Für Werner war er ein fremder Mann. Er sah seinen Vater zum ersten Mal. Nachdem Alo sich erholt hatte, nahm er als Schneidergeselle bei der alten Firma Krahn seine Arbeit wieder auf. Sein Arbeitsweg in die Stadt betrug fast zwei Stunden. Zum Glück besaß er wenigstens ein Fahrrad für den Weg zum S-Bahnhof Poppenbüttel.

 

Der Aufbau der Stadt mit den riesigen Trümmerfeldern ging nur schleppend voran. Hanna ging regelmäßig zum Wohnungsamt und fragte nach einer Wohnung. Sie kam immer mutlos zurück. Frau Kuniß hatte ihr Haus verkauft und die neuen Besitzer machten Druck.

Durch einen glücklichen Zufall hörte Alo von der Schiffszimmerer Baugenossenschaft, die neue Mitglieder aufnahm. Es wurde eine Siedlung zwischen Rübenkamp und Fuhlsbüttler Straße mit 700 Wohnungen gebaut. Die Häuser waren mit Nachkriegsmaterial aus Splittbeton gebaut und somit sehr hellhörig und wenig isoliert.

 

Im Herbst 1952 bezogen wir die Wohnung im Zwanckweg 12. Die Wohnung war 45 qm klein, Sie hatte 2 ½ Zimmer, Küche, Flur und Bad. Das Schlafzimmer und die Küche hatten keinen Ofen. Aber Hanna war glücklich über ihre erste eigene Wohnung. Hanna vermißte allerdings die netten Nachbarn, mit denen sie weiterhin eine herzliche Freundschaft pflegte. Wir Kinder hatten in Poppenbüttel eine wunderschöne Kindheit und Schulzeit.

 

Zu den Nachbarn in Poppenbüttel hatte Hanna bis zuletzt ein herzliches Verhältnis. Besonders mit den Familien Tödter und Schmidt. Sie schrieben und besuchten sich regelmäßig. Frau Tödter schrieb am 3.2.71 u.a.: „Liebe Regina! ... Mutti sagt, daß Euer kl. Sohn genau so aussieht wie Du damals – so ein kl. Lockenköpfchen. Ja, wo sind die Jahre geblieben. Es war doch eine schöne Zeit, wie Ihr hier bei uns gewohnt habt und Deine Mutti und wir noch so jung waren wie Ihr jetzt. Trotz des Krieges war es hier ein schöneres wohnen als jetzt. Es hat sich so viel verändert. Poppenbüttel wird langsam eine Stadt. Laut ist es hier geworden, durch die vielen Autos … “

 

Die Freude über die eigene Wohnung währte nicht lange. 1954 quartierte sich Alos Schwester Hedwig aus Schleswig mit ihrer Tochter Gesche für vier Jahre bei uns ein.

Im Wohnzimmer stand die Nähmaschine, an der Alo nähte und Hanna hütete das Kleinkind der berufstätigen Nachbarin. Regina und Werner machten Schulaufgaben und Hedwig und Gesche saßen abends auch noch mit am Tisch.

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Im Herbst erkrankte Hanna schwer an einer Nierenbeckenentzündung und lag mehrere Wochen im Heidberg-Krankenhaus in Ochsenzoll. In dieser Zeit nahm Henny uns Kinder Werner und Regina bei sich auf. Sie hatte mit drei Kindern nicht viel Platz in der Wohnung in der Leverkusenstraße in Altona. Das bedeutete für die Familie eine große Einschränkung. Aber alle waren rücksichtsvoll und lieb zu uns. An den Wochentagen fuhren wir zur Kath. Schule in die Danziger Straße. Sonntag-Vormittag liefen wir zur Kath. Kirche nach Altona und nachmittags fuhren wir beide ins Krankenhaus, wo wir unsere Mutter besuchten. Für uns Kinder waren es weite Wege. Werner war erst acht Jahre alt.

 

Alo erhielt von der Firma Krahn immer unregelmäßiger Lohn. Es gab damals jeden Freitag eine Lohntüte. Aber schon in Poppenbüttel wartete Hanna freitags beim Kaufmann oft vergebens auf Geld. Dort konnte sie wenigstens „anschreiben“ lassen. Auch mit der Einführung der D-Mark am 20.6.1948 wurde es nicht besser. Aber nun war die Miete von 70 D-Mark pünktlich fällig. Er wechselte 1954 zum Alsterhaus in die Änderungsschneiderei. Zusätzlich arbeitete er in Heimarbeit für eine Schneiderei und nähte Herrenhosen. Er erhielt für eine Hose erst 16, dann 18 und zuletzt 20 D-Mark.

 

Trotz der Geldnöte war Hanna die Schulbildung ihrer beiden Kinder wichtig. Uns sollte es besser ergehen mit einer Ausbildung. Werner machte 1964 auf dem St. Ansgar-Gymnasium das Abitur und Regina 1957 auf der Techn. Oberschule am Langenfort die Mittlere Reife. Wir sind unserer Mutter und unserem Vater sehr dankbar dafür.

 

Ab 1956 arbeitete Alo als Justizangestellter beim Oberlandesgericht. Er hatte im Wechsel eine Woche Nachtdienst und eine Woche frei. 

 

Am 19.8.1961 haben die Eltern Regina und Michael Jürgen eine schöne Hochzeit ausgerichtet. Unvergeßlich ist in der Kirche St. Sophien das „Largo von Händel“, - gesungen von Klaus Wierz: „So nimm‘ denn meine Hände …“. Hanna fiel es schwer, schon so früh ihre Tochter loszulassen. Hanna war eine liebevolle und fürsorgliche Mutter. Sie war immer für ihre Kinder da und verzichtete selbst auf so vieles, nur um ihre Kinder glücklich zu sehen.

Werner heiratete am 28.12.1966 Helga geborene Eifler.

 

Im Herbst 1962 wurde Alo bei einem Verkehrsunfall sehr schwer verletzt. Er war als Fußgänger auf der Kreuzung Fuhlsbüttler-/Hellbrookstraße von einem Pkw erfaßt worden. Hanna konnte nur noch beten. Am Morgen meiner zweiten Nachtwache im Barmbeker Krankenhaus wachte mein Vater aus der Bewußtlosigkeit auf und sein erstes Wort war: „Hanna!“. Da konnte Hanna auch hoffen. Nach langem Krankenhaus- und anschließendem Kuraufenthalt in Bad Bramstedt war Alo wieder genesen. Er lief mit dem Nagel im Bein genauso schnell wie vorher. Und ging seinen Dienst nach bis zum Renteneintritt im November 1968. Genäht hat er dann nicht mehr. Aber bei der Firma AEG als Bote zu der kleinen Rente einige Monate etwas hinzuverdient.

Von der Rentenhöhe bei Rentenbeginn sind keine Unterlagen vorhanden. Aber zuletzt im Jahr 1992 erhielt er eine BfA-Rente (einschl. Ruhegeld der Stadt Hamburg) in Höhe von 2.092 D-Mark. Davon wurden für die Krankenkasse BKK 144 D-Mark einbehalten und die Miete warm betrug circa 700 D-Mark. Heute würden ihm also 625 Euro zum Leben bleiben.

 

1965 zogen Hanna und Alo mit Werner im selben Haus in den zweiten Stock. Hanna freute sich über die sonnige Wohnung. Allerdings hat sie immer einen Balkon vermißt.

 

Wenn Hanna im März ihren Geburtstag feierte und die ersten warmen Sonnenstrahlen den nahen Frühling ankündigten, war ihre Sehnsucht nach ihrer Heimat besonders groß. In Poppenbüttel wohnten wir zwischen Feldern und Wiesen. Im Zwanckweg fehlte ihr dieser weite Blick über die Landschaft.

 

Sie sang uns dann immer gerne das Nordmährische Volkslied vor

            Im Märzen der Bauer die Rößlein anspannt, er setzt seine Felder und Wiesen instand, er pflüget den       Boden, er egget und sät und rührt seine Hände frühmorgens und spät.

Die Bäuerin, die Mägde, sie dürfen nicht ruhn: sie haben im Haus und im Garten zu tun; sie graben und rechen und singen ein Lied, sie freun sich, wenn alles schön grünet und blüht.

So geht unter Arbeit das Frühjahr vorbei; da erntet der Bauer das duftende Heu; er mäht das Getreide, dann drischt er es aus: im Winter da gibt es manch fröhlichen Schmaus.

  Auch erzählte sie von den Schafen mit ihren Lämmern am Deich, und den Fohlen und Kälbchen auf den Wiesen.

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1966 hatten unsere Eltern Silberhochzeit. Tante Mariechen richtete unseren Eltern auf Moordeich eine kleine Feier aus. Werner und Regina besuchten sie dort und wir saßen mit allen Nordstrander Verwandten gemütlich zusammen.

 

Besonders froh haben wir unsere Mutter gesehen, wenn sie mit ihren Geschwistern zusammen sein konnte. Auch wenn die Wohnung noch so klein war, so rückten alle zusammen und es war immer eine fröhliche Runde, besonders an Geburtstagen. Da die meisten gar kein Telefon hatten, kam man zusammen, ohne vorherige Absprachen. Und zu Geburtstagen war es üblich, daß man sich immer besuchte. In der Empenfamilie wurde dann Plattdeutsch gesprochen.

 

1969 wurden die Häuser im Zwanckweg an das HEW-Fernwärmenetz angeschlossen. Hanna hatte es nun auch schön warm mit Zentralheizung in jedem Raum und fließend warmes Wasser. Es wurde für alle Mieter ein Waschhaus mit Waschmaschinen eingerichtet. Bis dahin war der Waschtag eine schweißtreibende und schwere körperliche Arbeit gewesen. Hanna hatte nun eine behagliche Wohnung mit Kühlschrank, Telefon und Fernseher. Zusammen mit Alo hatte sie Freude an kleinen Reisen. Sie besuchten Alos Schwester Maria in Linz in Österreich, Reginas Schwiegereltern im Taunus und sie machten Busreisen nach Süddeutschland. Aus Hannas Aufzeichnungen geht hervor, daß sie immer schönes Wetter hatten, Spaß an vielen und interessanten Unternehmungen hatten, und sie alles immer „schön“ fand. Hanna war immer zufrieden mit ihrem Leben. Sie lachte immer. Hatte für alles Verständnis. War nie nachtragend. Ihre Nichten und Neffen sagten mir immer, wie lieb Tante Hanna war.

 

Hanna freute sich über die Enkelkinder Martin, Astrid und Wiebke. Das vierte und letzte Enkelkind Wencke hat sie nicht mehr erlebt. Mit Wiebkes Kindern Linus und Lea wäre sie stolze Urgroßmutter.

 

Hanna litt jahrelang unter starken Kopfschmerzen, manchmal tagelang. Zuletzt war es unerträglich und der Arzt stellte einen sehr hohen Blutdruck fest. Vorübergehend ging es ihr mit Tabletten besser. Dann war ihre rechte Seite gelähmt nach einem Schlaganfall. Nach Behandlung konnte sie wieder einigermaßen laufen. Besserung sollte ein Reha-Aufenthalt in Bad Bevensen bringen. Nach einem Zwischenaufenthalt im Marienkrankenhaus in Hamburg, starb Hanna am 19. August 1977 im Landeskrankenhaus Bad Bevensen.

 

Unsere liebe Mutter so früh zu verlieren war sehr schmerzlich. Sie war erst 67 Jahre alt. Sie hatte noch schönes volles schwarzes Haar mit wenigen grauen Strähnen. Unseren Vater traf es besonders hart. Seine Trauer war riesengroß.

Alo überlebte seine geliebte Hanna um 15 Jahre. Er beging seinen 89. Geburtstag im Altersheim in Quickborn. Unser lieber Vater starb am 7. Dezember 1992 in der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg an einer Lungenentzündung und Altersschwäche.

 

 

Diesen Lebenslauf widme ich meinen Kindern Martin Joachim und Astrid Patricia.

 

Hamburg, im März 2010                                                              Regina Piaskowski

 

 

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